Blow- (Runn-)ing in the wind

Ein Reise- und Wettkampfbericht
Mai 2011
Edinburgh / SCO
 
 

Do, 19.5.2011 - 04:00 Uhr
Der Wecker läutet. Es ist wieder Marathonzeit. Die Reise geht diesmal nach Schottland zum "EMF" - dem "Edinburgh Marathon Festival". Zusammen mit meine Frau Lilli und meine Schwester Eva fahren wir nach Schwechat und treffen dort auf die sieben restlichen Mitglieder unserer Reisegruppe - allesamt Steirer vom "Happy Lauf Anger". Leni, Rosi, Julia, Walter, Christian, Peter und deren Frau Dorli, die erstmals mit von der Partie ist. Leni, die erst zum zweiten Mal in ihrem Leben in einen Flieger steigt (...das erste Mal war sie mit uns in Dublin !) - feiert ausgerechnet heute einen runden Geburtstag (Fünf Dutzend!) und so singen wir ihr im bereits sehr belebten Flughafen spontan ein Ständchen.
Verwunderte Blicke verschlafener Reisender sind die Folge. Um 07:15 Uhr hebt der Airbus A 320 der Austrian ab. Nach einem wunderbar ruhigem Flug laden wir 76 Minuten später in Düsseldorf und steigen danach in eine Bombardier CRJ 900 der Eurowings.
Noch auf dem Flug stellen wir die Uhren um eine Stunde zurück und landen um 12:15 Uhr Ortszeit in der zweitgrößten Stadt Schottlands (ca. 486.000 Einwohner). 11°C und kräftiger Wind empfangen uns. Gerade als wir in den Airlink - Bus steigen, beginnt es leicht zu regnen. Rund 30 Minuten dauert die Fahrt durch die Vororte ins Zentrum zum Hauptbahnhof, der Waverly - Stadion. Der öffentliche Verkehr spielt sich hier großteils in (Doppeldecker-) Bussen ab. Untergrund- oder Straßenbahnen gibt es nicht. Mit dem Bus Nr. 22 fahren wir zum Ocean Terminal ans Meer, wo wir um 14:00 Uhr bei unserem Hotel ankommen. Das "Holiday Inn Express Waterfront" ist ein nettes 3* Haus mit einem guten Preis-/ Leistungsverhältnis. Nach einer kurzen Erholungsphase geht es zurück in die City und wir erklimmen "Carlton Hill" mit dem bekannten "Nelson Monument". Von dieser 100 m hohen Erhebung bietet sich uns ein sensationeller Blick über die Stadt und das Umland. Gelegentlich blinzelt nun sogar die Sonne hervor. Bei einem gemütlichen Italiener - mit einer deutsch sprechenden Kellnerin - stillen wir den Hunger. Preiswert und gut. Gegen 19:00 Uhr sind wir wieder im Hotel und jeder ist froh, nach dem langen Tag die Beine hochlagern zu können. Was mir am ersten Tag noch aufgefallen ist:

  • Die Bus - Tagestickets gleichen Gewinnspiellosen. Der jeweilige Tag, Monat und das Jahr müssen "aufgerubbelt" werden
  • In den Bussen wird man, aufgrund der desolaten Straßen und dem zahlreichen Kopfsteinpflaster ordentlich durchgeschüttelt. Die Chauffeure brauchen hier ohnehin gute Nerven. Wenn bis zu vier Busse auf den engen Straßen nebeneinander fahren, geht es oft ziemlich knapp zu
  • Vorsicht beim Überqueren der Straße ist angesagt - es herrscht Linksverkehr!
  • Das berühmte Schottenkaro "Tartan" findet man überall. Selbst die Sitze in den Bussen sind damit tapeziert
  • Es ist eigentlich nur von 22:00 - 04:00 Uhr nachts wirklich dunkel - sonst tag hell.

Fr, 20.5.2011
Abgesehen von einem "Schnarchmonster" im Zimmer neben uns (Dünne Wände!), war es eine ruhige Nacht. Um 06:30 Uhr treffen wir uns zu einem Morgenlauf über 5 km. Es hat ca. 7 °C bei starker Bewölkung und böigem Wind. Ein Wettermix, gepaart mit leichtem Regen wird uns den ganzen Tag über begleiten. Mit dem Bus Nr. 43 geht es durch die nördlichen Vororte nach South Queensferry. Dort steht eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Schottlands, die "Forth Rail Bridge". Diese imposante Eisenbahnbrücke überspannt den Firth of Forth auf dem Weg in die Grafschaft Fife. Sie wurde 1883 - 1890 erbaut, ist 50 m hoch und 2,5 km lang. Der stürmische Wind nötigt uns alle, Haube oder Kapuze aufzusetzen. Nach der Rückfahrt besichtigen wir "Edinburgh Castle" - die Hauptattraktion der Stadt, mit über
einer Million Besuchern im Jahr. Eine Besonderheit dort ist die "One o´clock gun" die seit 1861 jeden Tag - außer sonntags - um 13:00 Uhr einen Schuss abfeuert. Hernach schlendern wir der "Royal Mile" entlang. Hier reiht sich ein Souvenirladen nach dem anderen. Am Ende der Straße befindet sich das neue, moderne und daher sehr umstrittene Parlament und gleich gegenüber der "Palace of Holyroodhouse". Dies ist seit Jakob IV. die offizielle Residenz der schottischen und britischen Könige. Ein paar Schritte weiter ist die Startnummernabholung in einem windigen Zelt untergebracht. Die hat ihre Bezeichnung auch wirklich verdient. Denn außer der Nummer und vier Nadeln bekommen wir absolut NICHTS! Jedoch im Ziel soll es dann was geben. Warten wir´s ab. Dafür werden wir Zeugen eines beeindruckenden Spektakels. Eine große Dudelsackgruppe, gefolgt von Trommlern, einer Blasmusik und einer bewaffneten Ehrenkompanie marschiert lautstark an uns vorbei. Allesamt rund 200 Mann. Den nun folgenden Termin habe ich schon vor Wochen per mail vereinbart. Nach einer langen und komplizierten Anfahrt treffen wir am Eingang der "University of Edinburgh" - gleich gegenüber dem Harley Davidson Store - Mag. Dr. Siegfried Gonzi. Der St. Pauler Astrophysiker forscht und publiziert hier seit über drei Jahren und freut sich sichtlich, jemand von zu Hause zu treffen. Er zeigt uns den Campus und wir beschenken ihn mit Salami & Würsteln aus der Heimat. Auch die Steirer haben was Essbares mitgebracht. Durch die nobelste Wohngegend der Stadt fahren wir in die City und verbringen ein paar lustige Stunden. Das anfangs noch stark anglizistisch angehauchte Deutsch des Physikers wechselt von Minute zu Minute mehr ins Kärntnerische. Gegen 20:30 Uhr fahren wir ins Hotel und Gonzi marschiert strammen Schrittes die 45 Minuten bis in seine nur 38 qm große Wohnung. Ein Schlummerdrunk an der Hotelbar beendet den ereignisreichen Tag. Der Wind bläst zwar weiter unaufhörlich, aber mittlerweile ist es wolkenlos. Was uns heute auffiel:

  • So wie auch anderswo in britischen Ländern deckt sich das Kälteempfinden der Einheimischen nicht mit der unseren. Strumpflos, mit Flip Flops und schulterfrei ist hier ganz normal, während wir uns dick einmummen.

Sa, 21.5.2011
Die Schotten sagen: "Wenn dir das Wetter in Edinburgh nicht gefällt, dann warte fünf Minuten!"
Dieser durchaus zutreffende Spruch geht mir durch den Kopf, als ich um 05:00 Uhr das erste Mal aus dem Fenster schaue. Etwas später absolvieren wir unseren Morgenlauf. Es ist wärmer als gestern, aber natürlich wieder stürmisch. Ein gutes Frühstück stärkt uns danach für den Tag. Wir wollen heute aufs Land - in die Kleinstadt "North Berwick" - fahren. Mit der Bahn starten wir von Waverly aus. Nach der ersten Station steht plötzlich alles. Der Zug ist defekt. Wir müssen aussteigen und warten dort in Musselburgh (...dem morgigen Zielort!) bei sturmartigen Wind über eine Stunde auf Taxis, die uns schließlich ans Ziel bringen. Vorbei an zahlreichen Golfclubs (Der Wind scheint die Spieler nicht zu stören!) geht die rasante Fahrt in die kleine Küstenstadt zum "Scottish Seabird Center". Eine weitere Sehenswürdigkeit
dort ist die vorgelagerte Insel "Bass Rock" die u.a. einen markanten Leuchtturm und die größte Basstölpelkolonie der Welt beherbergt. North Berwick ist für die Schotten ein beliebtes Seebad. Kleinkinder tollen hier halbnackt im eiskalten Wasser herum!!! Wir wärmen uns lieber bei einer Tasse heißen Kaffee. Zur Rückfahrt entscheiden wir uns wieder für die "Risikovariante" - den Zug. Diesmal klappt alles reibungslos und wir sparen über eine Stunde Fahrzeit gegenüber dem Bus. Die Besichtigung des Zielbereichs lassen wir ausfallen. Während die Frauen das nahe "Ocean
Terminal Einkaufszentrum" unsicher machen, ziehen wir Läufer uns zur Erholung auf das Zimmer zurück. Das Abendessen bei "Zizis" nehmen wir mit Blick auf die königliche Yacht "Britannia" ein. Hauptgesprächsthema dabei ist
natürlich das Wetter für morgen. Alle hoffen, dass die angekündigte Schlechtwetterfront mit Sturmwarnung (bis 70 mph = 112,6 km/h) erst später eintrifft. Aber - nehmen müssen wir es ohnehin wie es kommt. Was mir heute noch auffiel: Jeder Bus hat 6 - 8 Überwachungskameras und auch an viele öffentlichen Plätzen wir das Geschehen genau beobachtet

  • Elektrische Kabelstränge hängen zuhauf an den Außenfassaden der Häuser völlig ungeschützt "herum"
  • Isolierverglasung ist hier anscheinend nicht bekannt. Die Gardinen in unserem Zimmer wehen - bei geschlossenem Fenster - fröhlich vor sich hin. Nur der Vorhang schützt vor weiterer Zugluft!

So, 22.5.2011 - Wettkampftag!
05:00 Uhr - der erste Blick aus dem Fenster ist verheißungsvoll. Weniger Wind als zuletzt und fast wolkenlos. Doch noch während unseres Frühstücks geht ein Regenschauer nieder und kurz darauf ist es wieder blau - verrückt! Die Halbmarathonläufer Rosi und ihr Sohn Christian haben, samt ihren Coaches Leni & Julia das Hotel bereits verlassen. Sie starten zwei Stunden vor uns bereits um 08:00 Uhr. Um 08:30 Uhr machen auch wir uns auf den Weg, d.s. die Marathonis Walter, Peter, Armin und die drei "Supporter" Dorli, Eva und Lilli. In wenigen Minuten sind wir mit dem Bus im Startbereich auf der "London Road". Hier starten die Nummern 1 - 4.999, also die Flotteren. Das restliche Feld läuft aus einem anderen Straßenzug weg. Alleine in den 50 Minuten bis zum Start wechselt das Wetter noch mehrmals. Mal Sonne - mal Regen, immer begleitet von auffrischendem Wind. Um 09:52 Uhr geht es für uns dann endlich los. Ich stehe ganz vorne - wenige Meter hinter der Zeitmessmatte - nur durch eine Schnur, die uns die Ordner vor die Brust
halten, von der Elite getrennt. Als der Startschuss ertönt, stürmt alles los und ich werde von dieser Schnur, die nicht hoch genug angehoben wir, fast stranguliert. Das wäre beinahe mein kürzester Marathon geworden. Zu Beginn geht es gleich bergab. Ich laufe locker und versuche mich zurückzuhalten.

Km 1 - 3´57´´ Ich bin froh, dass ich heute mit meiner GPS - Uhr laufe, denn Kilometertafeln sucht man hier vergebens und auch das erste Meilenschild sehe ich erst viel später.

Km 5 - 20´03´´ Noch in der Stadt laufend, wechseln wir öfters die Richtung, sodass der kräftige Wind schon in dieser frühen Phase deutlich zu spüren ist. Der Straßenbelag ist sehr schlecht. Grober Asphalt und viele Löcher, also Vorsicht! Hin und wieder müssen wir uns die Straße mit dem Autoverkehr teilen, getrennt nur durch Absperrbänder, die die Ordner in der Hand halten. Bei diesem großen Starterfeld wirkt das alles schon sehr improvisiert und gefährlich.

Km 10 - 40´51´´ Wir haben nun die Promenade erreicht und laufen direkt dem Meer entlang. Der Belag ist nun deutlich besser und der Wind bläst von hinten. Musselburgh, der spätere Zielort wird passiert. Hier stehen mehr Leute und feuern uns an. Die Strecke führt uns weiter durch nette, kleine Dörfer - landschaftlich eigentlich sehr reizvoll.

Km 15 - 1h01´13´´ Ich habe das Tempo noch weiter zurückgenommen, da das Profil nun leicht wellig wird. Der Asphalt ist nun wieder schlechter und der Wind hat weiter an Intensität zugenommen - bläst uns aber noch in den Rücken.

HM - 1h26´40´´ Die Hälfte wäre geschafft. Ich blicke hinüber zum Meer, welches aufgrund der Bedingungen sehr unruhig ist. Wir nähern uns der Wende, kurz vor Km 28. Es ist wie ein Faustschlag ins Gesicht. Von einem Meter auf den anderen bläst und der Sturm nun mit voller Wucht ins Gesicht. Anfangs versucht man noch heroische dagegen anzukämpfen: "Du bist ja nicht so schlecht unterwegs", sage ich mir. Doch schon nach wenigen Minuten akzeptiere ich die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens und lege alle Zeitambitionen ad acta. Noch dazu beginnt sich nun auch noch mein Magen zu verkrampfen - ein altes Leiden! Bevor wir wieder auf die Strecke zurückkehren, durchlaufen wir einen schönen, großen, herrschaftlichen Schlosspark.

Km 30 - 2h 05´ 20´´ Ich begegne nun vielen, weiter zurückliegenden Läufern - die frohen Mutes dahinlaufen. Wenn die wüssten, was ihnen in Kürze bevorsteht! Ich halte nach Walter und Peter Ausschau - kann sie aber in entdecken. Genervt vom Sturm und den Magenproblemen häufen sich meine Gehpausen.

Km 35 - 2h31´19´´ Zu allem Überfluss fängt es nun heftig zu regnen an. Die Sturmböen peitschen mir die Regentropfen sehr unsanft ins Gesicht. Der malträtierte Körper kühlt nun rasch ab - mir ist richtig kalt. Auf der anderen Straßenseite kommen mir immer noch Läufer entgegen. Viele sind kostümiert.
Ich erspähe Fred Feuerstein, die "Blue Man Group", eine Baywatch-Nixe, einen Arzt, u.v.m. Hin zum Ziel geht es ständig leicht bergauf. Ich beiße nochmals auf die Zähne und kämpfe gegen die Naturgewalten. Kurz vor dem Finish steht ein Teil unserer Gruppe mit der Österreichfahne und feuert mich frenetisch an.

Meinen 43. Marathon beende ich schließlich in enttäuschenden 3h08´52´´ (Platz 20 in meinem persönlichen Ranking). Bereits kurz hinter mir kommen Walter (pB) und Peter zeitgleich nach 3h13´47´´ ins Ziel. Schon lange vorher haben Christian (Super Debüt in 1h33´05´´) und Rosi (1h54´33´´) den Halbmarathon beendet. Eine massive Finishermedaille, ein Funktionsshirt und eine "Goodiebag" werden uns auch später noch an diese harten Stunden erinnern. Resümee: In meiner 24 - jährigen Marathonkarriere bin ich noch kein Rennen bei so extremen Bedingungen gelaufen – richtiges "Highländer - Wetter". Dazu waren es die schlechtesten, löchrigsten Straßen, die ich je unter den Füßen hatte. Weiters zu kritisieren gibt es die sehr mangelhafte Ausschilderung der Strecke und die Tatsache, dass trotz des fürstlichen Startgeldes die Rückfahrt nach Edinburgh im Shuttlebus extra zu bezahlen war. Die von der britischen "Runner´s World" vergebene Auszeichnung zum "Fastest Marathon in the UK" konnten wir heut beim besten Willen nicht nachvollziehen. Bei windstillen Verhältnissen (...die es hier aber kaum geben wird...) hat die landschaftlich reizvolle Strecke aber sicher Potential. Zurück in der Stadt genehmigen wir uns zuerst einen kleinen Imbiss und zwei Bier - hmmm das schmeckt, nach den vielen süßen Energydrinks. Wir Marathonis ziehen uns danach auf das Zimmer zurück, während die Lady´s mal wieder "shoppen" gehen. Das letzte Problem des Tages war, ein geeignetes Lokal mit zehn freien Sitzplätzen zu finden. An der Hotelbar klang der lange Tag schließlich mit reichlich Guiness und der Verbrüderung mit ein paar englischen Läufer ("Guten Morgen! My name is Peter Morgen!") aus.

Mo, 23.5.2011 - Die Schlechtwetterfront ist da.
Draußen stürmt und regnet es wieder einmal, diesmal jedoch noch intensiver. Dagegen herrschte gestern fast "ideales" Laufwetter! Nach dem Frühstück bringt uns der Airlinkbus Nr. 100 wieder zum Flughafen. Beim Start um 13:58 Uhr wird der Airbus A321 der Lufthansa ganz gewaltig durchgeschüttelt. Erst später sollten wir erfahren, welches Glück wir heute hatten. Wenige Stunden nach unserer Abreise musste der Airport Edinburgh wegen der Vulkanaschenwolke aus Island gesperrt werden und die Passagiere saßen über einen Tag fest! Nach einem längeren Zwischenstopp in Frankfurt landet die Boing 737-800 der Austrian um 21:26 Uhr sicher in Wien-Schwechat.

Fazit:

Eine toll harmonierende Gruppe, eine sehenswerte Stadt und viele neue, multikulturelle Eindrücke lassen die sportliche Enttäuschung rasch vergessen. Alle freuen sich schon auf unseren nächsten gemeinsamen Trip - im Juli 2012 - nach Stockholm. Die nächste LG - Marathonreise führt allerdings im November 2011 an die französische Riviera nach Nizza!

       
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