Die Geschichte läuft mit

Ein Reise- und Wettkampfbericht
April 2010
Boston / USA
 
 

Mi, 14.4.2010
Es ist 09:00 Uhr. Meine Frau Lilli und ich machen uns von St. Paul aus auf die Reise nach Neufahrn bei München. Morgen geht es wieder einmal über den großen Teich zum "114. Boston - Marathon", dem ältesten durchgehend seit 1897 durchgeführten Marathon.

Do, 15.4.2010
Nach einer ruhigen Nacht im "Best Western City Hotel Neufahrn" laufe ich eine morgendliche 9 km - Runde um mir die Füße vor dem langen Flug noch etwas zu vertreten. Unser Auto parkt in der Tiefgarage des Hotels und ein Shuttle bringt uns zum nahen Flughafen "Franz-Josef-Strauss". Zum Glück sind wir rechtzeitig da, denn wir durchlaufen vier aufwändige Sicherheitschecks, bevor wir in den Flieger steigen können. Der Airbus A330 der US-Airways hebt um 12:31 Uhr ab. Auf dem Flug kämpfe ich vor allem gegen die sehr kühl eingestellte Klimaanlage. Nach 8h20min. (ca. 6.800 km) und einem sehr ruhigen Flug landen wir um 14:51 Uhr Ortszeit (eigentlich: 2:51 pm) in Philadelphia.

Die Einreisechecks beim erstmaligen Betreten amerikanischen Bodens übertreffen die in München noch bei Weitem: 1) Passkontrolle aller "Visitors" 2) Strenge optische Kontrolle des Passbildes durch den Zöllner 3) Fingerprints (...alle zehn...) mit Foto 4) Als wir unser Gepäck holen, beschnüffeln uns drei Drogensuchhunde 5) Das Einreiseformular "ESTA" muss abgegeben werden 6) Unser Gepäck wird neu eingecheckt 7) Pass- und Boardingkontrolle 8) Finaler Check, wo sogar die Schuhe ausgezogen werden mussten. Zum Glück hatten wir bis zum Weiterflug dann zwei Stunden Zeit, um uns von dieser Tortur zu erholen.

Es ist allerdings eine Kunst, in den Wartehallen ein zugfreies Plätzchen zu finden. Die Klimaanlagen laufen auch hier, trotz "nur" 20°C auf Hochtouren. Durch eine regelrechte "Rushhour" am Flugfeld (ca. 15 Maschinen befinden sich am Flugfeld vor uns) verzögert sich unser Abflug beträchtlich. Um 19:29 Uhr landet die Embraer E 190 der US-Airways schließlich am Logan Airport in Boston. Um sehr günstige 15 Dollar (!) kaufen wir eine 7-Tages-Karte für die U-Bahn (Wird hier allgemein nur "T" genannt). Die alten, lautstark knarrenden Züge der Blue- und Greenline bringen uns rasch ins Hotel. Um 20:45 treffen wir im "Holiday Inn Express Cambridge" ein. Zu Hause wäre es jetzt 02:45 Uhr - nach der über 20 stündigen Anreise fallen wir müde ins Bett.

Fr, 16.4.2010
Es war eine unruhige Nacht. Der Jetlag macht mir noch etwas zu schaffen. Draußen hat es zu regnen begonnen - 38F (3,3°C). Da ist es in unserem Zimmer schon bequemer: ca. 35 qm, zwei Queensize-Betten, dunkle Vollholzmöbel, eine komplette Küchenzeile mit Mikrowelle, Kaffeekocher, etc. Das Frühstück wird zwar mit Plastikgeschirr eingenommen, ist aber für amerikanische Verhältnisse ganz ordentlich. Der Regen erzwingt eine Umplanung. Erstes Ziel ist das "New England Aquarium". Hier werden zahlreiche Meeresbewohner sehr anschaulich und hautnah gezeigt. Gegen Mittag, als der Regen gerade Pause macht, gehts weiter ins Zentrum, zum "Boston Common".

In diesem großen Stadtpark lagen letzte Woche die Jugendlichen noch bei 32°C am Rasen - bei den heutigen Temperaturen undenkbar. Entlang der noblen "Boylston Street" spazieren wir zum Zielbereich vor der Boston Public Library. Es beginnt wieder zu regnen und so flüchten wir ins große "Prudential Center". Gleich nebenan, im "Hynes Convention Center" startet um 14:00 Uhr die Marathon-Expo. Bis dato galt für mich die Messe in Chicago als Maßstab, doch was hier geboten wurde, übertrifft alles Dagewesene.

Großzügig werden Kostproben & Giveaways verteilt. Als Startgeschenk gibt es ein Langarm-Funktionsshirt. Dazu gibt es echt viele Schnäppchen an Schuhen, Bekleidung, etc. Preisdifferenz zu Österreich - teilweise über 50 % - auf aktuelle Ware, wohlgemerkt! "Where are you from?", werden wir oft gefragt. "Austria" ist den meisten ein Begriff, was mich einigermaßen verwundert. Unter den tausenden Besuchern treffen wir Mario Mesa wieder, einen kolumbianischen Läufer und Organisator des Anden-Marathons in Bogota, den wir gestern in der U-Bahn kennen gelernt haben. Es werden Fotos gemacht und e-mail-adressen ausgetauscht. Nach über drei Stunden auf dieser gigantischen Produktschau fahren wir, vollbepackt, wieder ins Hotel. Die schlechte Wetterprognose auf CNBC beschäftigt mich während des Einschlafens noch lange.

Sa, 17.4.2010
06:00 Uhr und es regnet nach wie vor, bei nur 40F (4,4 °C). Trotzdem - ich muss raus. Kurz darauf gehe ich auf Entdeckungsreise durch das nördliche Boston. Entlang der Cambridge Street, mit netten Vorstadthäuschen auf beiden Seiten, laufe ich stadtauswärts. Es sind nur wenige Leute auf der Straße - die Polizei patrouilliert verstärkt, da es in dieser Gegend, in der Nähe der berühmten Harvard University, zuletzt eine stark gestiegene Kriminalitätsrate gab.

Nach rund 35 Minuten bin ich wieder beim Hotel - das tat gut und ich fühle mich auch bestens. Wetterbedingt müssen wir nach dem Frühstück eine weitere Indoor-Aktivität einplanen. Es geht zum nahegelegenen "Museum of Science". Hier werden allerlei physikalische und mathematische Phänomene erklärt und dargestellt. Ganz besonders spektakulär war das Indoor-Gewitter mit Blitz und Donner. Mittagessen gibt es beim Chinesen - schnell, gut und günstig.

Heute sieht man vermehrt Marathonis in Turnschuhen mit ihren gelben Startsackerl, während das bevorzugte Schuhwerk der weiblichen Begleiter kniehohe, bunte Gummistiefel sind. Die ganz Harten sind aber auch bei diesem Wetter mit kurzen Hosen und Flip Flops unterwegs. Wir gönnen uns noch einen "richtigen" Kaffee in einem "What else?" - Nespresso-Shop. Kein Vergleich zu der Brühe die man sonst hier vorgesetzt bekommt. Die zwischenzeitliche Regenpause endet, als wir wieder im Hotel eintreffen. Gespannt verfolgen wir die Berichterstattung über die isländische Aschenwolke, die den europäischen Luftraum lahmlegt. Uns wird bewusst, dass wir einen (...den...?) letzten Flug von München in die Staaten erwischt haben!

So, 18.4.2010
Der erste Morgen, der trocken beginnt. Die Temperatur liegt aber unverändert bei nur 4°C. Ich absolviere wieder einen morgendlichen Lauf, der mich diesmal in einen völlig neuen Stadtteil von Cambridge bringt. Neue Fabriken, Schulen und frisch gepflasterte Wege vermitteln Moderne. Zurück im Hotel, informiere ich mich zuerst über die Ergebnisse des Wien - Marathons. Da es nach dem Frühstück wieder zu regnen beginnt, entwickeln wir erneut ein Notprogramm.

So drehen wir noch eine Runde auf der Marathonexpo und schießen während der nächsten Regenpause die obligaten "Pre-race Zielfotos". Etliche machen es uns gleich - so entspannt wird man morgen nicht unter dem Zielbanner stehen! Im Bostoner Stadtteil "Waterfront" wurden drei Gebäude aus der Kolonialzeit liebvoll restauriert und bilden nun gemeinsam die "Faneuil Hall". Dort finden wir eine Pasteria die nicht nur Pizzen, sondern auch Nudeln anbietet. Der nächste Weg führt uns ins nebenan gelegene "Hardrock - Cafe". Während wir shoppen, geht ein weiterer Wolkenbruch nieder. Aprilwetter in Neuengland ! Vorbei am Holocaust Memorial gehts zurück ins Hotel. Relaxen ist angesagt. Leider gelingt mir das nur bedingt. Mein Magen macht sich sehr schmerzhaft bemerkbar. Hab ich was Falsches gegessen? Ist es die aufkommende Nervosität? Jedenfalls schlafe ich mit einem unguten Gefühl, sehr spät ein.

Mo, 19.4.2010 - Wettkampftag
02:00 Uhr: Eine Gruppe von Frauen schnattert lautstark, wie ein Haufen aufgeregter Gänse direkt vor unserer Tür - ein nettes Erwachen. Heute, am dritten Montag im April ist in Massachusetts nicht nur "Patriot´s Day" - ein Feiertag, sondern traditionell auch DER Marathon - Montag. Um 04:30 Uhr hole ich mir ein kleines Frühstück in der Lobby, denn ich muss das Hotel schon um 05:40 Uhr verlassen. In der "T" sind um diese Zeit fast nur Läufer unterwegs. Ich komme mit Ron aus Kanada, Bill aus Oregon und John aus Maine gleich ins Gespräch. Alle zeigen sich verwundert, dass ich noch einen Flug vor der Vulkanasche erwischt habe.

Bei der "Park Street" steigen wir aus. Vor dem "Boston Common" stehen unzählige der großen, gelben Schulbusse. Ich erwische gleich im ersten einen freien Platz und kurz darauf setzt sich die Kolonne in Bewegung. Über den Highway sind wir in knapp 30 Minuten im Startort Hopkinton. Es ist genau 07:00 Uhr - drei Stunden vor dem Start. Auf dem Gelände einer Mittelschule sind zwei große Zelte aufgestellt, wo Tee, Kaffee, Bagels, u.v.m.ausgegeben werden. Die Läufer warten aber allesamt unter freiem Himmel.

Zum Glück ist es fast wolkenlos bei 7 - 8°C. Nicht auszudenken, welches Chaos entstünde, wenn sich über 26.000 Läufer in diese Zelte drängen würden. Ich habe mir einen Karton besorgt und setze mich auf die noch feuchte Wiese. Je näher der Start rück, desto mehr nimmt der Wind zu. Obwohl ich dick angezogen bin, ist mir kalt. Um 09:15 Uhr gebe ich den Kleidersack ab und folge dem Läuferstrom, der sich in Richtung Startbereich wälzt. Da es dort relativ eng ist, erfolgt der Start in zwei Wellen.

Ich bin um 10:00 Uhr an der Reihe. In dieser netten Kleinstadt herrscht heute Volksfeststimmung. Jeder ist auf den Beinen, nur fröhliche Gesichter, alle sind hilfsbereit und wünschen den Läufern "enjoy your run!". 09:50 Uhr - ein Tenor schmettert die amerikanische Hymne und kurz darauf jagen zwei Kampfbomber unter dem Gejohle der Amis über unsere Köpfe hinweg. 10:00 Uhr - der Startschuss ist für mich nicht zu hören, doch langsam setzt sich die Masse in Bewegung. Nach genau 100 Sekunden überquere ich die Startlinie. Es geht gleich steil bergab.

Km 1 - 4´07´´ Bei dem Gedränge ist das OK. Und schon stellt sich uns der erste Hügel in den Weg. Es geht knackig bergauf und dieses Wellental sollte sich über die ganze Strecke hin so fortsetzen.

Km 5 - 20´14´´ Ich bin auf Plan. Unglaublich, was am Streckenrand los ist. Ein einziges Straßenfest. Wir durchlaufen viele kleine Vororte wo alles auf den Beinen ist: Ashland, Framingham, Natick, Wellesley, Newton. Zu meiner Überraschung sind nicht nur die Meilen, sondern auch die einzelnen Kilometer markiert.

Km 10 - 40´35´´ Der Wind hat deutlich zugelegt. Er kommt von vorne, von der Seite und nur selten von hinten.

Km 15 - 1h01´15´´ Weiterhin ein Auf und Ab, obwohl davon die Rede war, dass die erste Hälfte fast ständig bergab ginge - mitnichten!

Km 20 - 1h22´21´´ Ich befinde mich auf einem der berühmtesten Punkte der Strecke. Das passieren des "Wesseley - College" ist das alljährliche Highlight. Die vornehmlich weiblichen Studenten brüllen und kreischen sich die Seele aus dem Leib. Dazu hat jede eine Tafel in der Hand, wo man u.a. lesen kann: "Kiss me, I´am a single !" - "Kiss ME, I´am a virgin (!)" u.ä. Kurz darauf bin ich bei der HM - Marke: 1h26´57´´. Ich bin enttäuscht - wollte doch zwei Minuten schneller anlaufen. Dazu meldet sich jetzt auch noch mein Magen und ich muss weiter Tempo reduzieren und bei Meile 14 sogar kurz gehen. Was hilft die beste, krankheits- und beschwerdefreie Vorbereitung, wenn am Renntag nichts zusammenpasst? Das wird heute nichts mehr - ich schalte innerlich bereits auf "Schadensbegrenzung" um. Ich versuche mich abzulenken, denke an den 19.4.1897 - heute vor 113 Jahren fand hier der erste Lauf statt. Mir kommt Kathrin Switzer in den Sinn, jene couragierte Frau, die sich am 19.4.1967 - heute vor 43 Jahren - einen Startplatz im reinen Männerfeld erkämpfte und somit den Weg für die marathonlaufenden Frauen ebnete.

Km 25 - 1h45´18´´ Seelisch bereite ich mich auf die kommenden "Heartbreak - Hills" vor. Km 30 - 2h09´52´´ Ich bin mitten drinnen - vier Hügel mit jeweils einer Steigung von über einen Kilometer. Meine Geh- bzw. Lauf- (oder besser "Jogging-) phasen wechseln sich ab.

Km 35 - 2h35´06´´ Beim Boston - College "steppt wieder der Bär". Obwohl es mir körperlich schrecklich geht, versuche ich die Unterstützung der Leute zu genießen. Wir befinden uns nun wieder in Boston, auf der endlos langen "Beacon-Street".

Km 40 - 2h59´56´´ Da wollte ich schon im Ziel sein. Die Bergabpassagen tun nun besonders weh. 700 m vor dem Finish biegen wir endlich auf die Zielgerade, entlang der Boylston-Street, ein. Die Anfeuerungen der Zuschauer - die ja gut gemeint sind - wirken auf mich wie ein Hohn.

Ich bin maßlos enttäuscht. 3h12´35´´ - meinen 40er hatte ich mir doch ganz anders vorgestellt. Gerade als ich meine Medaille und die Wärmefolie bekomme, steht Lilli hinter der Absperrung schon neben mir und leidet mit. 14°C, stark bewölkt bei böigem Wind - ich friere. Den Kleidersack geholt und rasch zum Aufwärmen ins Hotel. Ich freue mich auf das warme Florida. Zum Abendessen gönnen wir uns einen großen, vor Fett triefenden Burger beim McDonalds um Eck - "weil´s eh schon wurscht is!"

Di, 20.4.2010
Unser letzter Tag in Boston startet mit wolkenlosem Wetter und angenehmen Temperaturen. Gemein - gerade heute, wo wir abreisen! Beim Frühstück verabschiede ich mich von Ron aus Kanada, der 3h34´gelaufen ist. Mit der "T" fahren wir zum Logan - Airport. Mit einer MD 88 der Delta Airlines fliegen wir nach Orlando, Florida, wo uns feucht schwüle 25°C empfangen.

Di, 20.4. - So, 25.4.
Wir verbringen fünf wunderbare Tage im luxuriösen "Residence Inn Sea World by Marriott". Eine 45qm Suite zum Spottpreis von € 34,--/pP. In diesen Tagen besuchen wir Sea World (Tolle Delphin - Show!), die Universal Studios ("The Revenge of the Mummy" war mein Waterloo), das Kennedy Space Center am Meer (Dort haben wir sogar den Mond berührt !), einige sehr preiswerte Outlets (Parndorf x vier), u.v.m. Bei Temperaturen bis zu 32°C konnten wir uns prima von den kalten Tagen in Boston erholen. Und als wir unsere Rückreise antraten, hatte sich die Aufregung um die Flughafensperren wegen der Aschenwolke wieder gelegt.

Mo, 26.4.
Um 08:30 Uhr MEZ landen wir in München.

Fazit:

Auch wenn es anfänglich schwierig und mit Schikanen behaftet ist ins Land zu kommen, so ist die USA doch immer eine Reise wert. Wenn man die dortigen Gegebenheiten akzeptiert (Wegwerfgesellschaft, Essensmoral, Klimaanlagen, etc.) kann man dort viel erleben und über Land und Leute erfahren. Die oft schon übertriebene Freundlichkeit der Menschen tut gut, genauso wie die absolut rauchfreien Zonen in den öffentlichen Gebäuden.

       
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